Teneriffa / Alcobaça / Made in Italy
Die Wildnis eines Blumenbeetes über dem verstaubten Lagerraum von Gipsformen einer traditionellen Keramikfabrik in Portugal. Erlöschte Kerzen neigen sich auf den Meereshorizont vor der Touristeninsel Teneriffa. Eine Collagierung von Momenten aus meinem Alltag als Gestalterin und als Reisende auf Porzellan gebrannt, verblichen und teilweise verbogen von der Hitze, von der Sonne. Verschwimmende Erinnerungen neu miteinander in Bezug gebracht oder vervielfacht.
Die einzelnen Bilder und die Art und Weise des Arrangierens eröffnen Räume und Durchblicke und lenken den Blick in die Weite.
Fluid Function Dancing, 2017, 18 × 20 × 15cm, porcelain, glaze/porcelain, decals. Collection Musée Ariana Genève.
Photo credits: Jean-Marc Cherix © Musée Ariana, Geneva
An impertinent stroll through two Genevan collections
The Musée Ariana is inviting the City of Geneva’s Contemporary Art Fund (FMAC) to set up a dialogue between their respective collections. The presentation of the works resembles a treasure hunt, based on imagery, textures and forms, in an always open face-to-face. Assembled along the lines of exquisite corpse compositions, this exhibition allows visitors to stroll through a series of encounters - probable or improbable - with contemporary ceramic creations, characterised by eloquent or more obscure associations of ideas, chance or deliberate references or juxtapositions, where formal, evocative and sensory threads develop and interweave.
Animality, sexuality, Eros and Thanatos, memento mori, evocations or invocations of nature, the accidental or unconscious, multiple interpretations emerge in this dreamlike world, like detours or roads less travelled.
Immerse yourself in this cabinet of curiosities – a disparate collection with no hierarchy of artistic mediums or practices
- where the “uncanny” prevails…
Solo exhibition at
Galerie Béatrice Brunner
Nydeggstalden 26
CH-3011 Bern
Einführungstext von Alice Henkes zur Ausstellung von Doris Staub Muster und Estelle Gassmann:
Die Blumen fragen: «Wird wohl heute die Sonne scheinen?»
Darauf sagt die Sonnenblume: «Gewiss, wenn ich will.»
Und die Giesskanne: «Aber wenn ich will, wird‘s regnen. Und wenn ich meine Brause abnehme, sogar in Strömen.»
Jules Renard
Wenn man die Besucherinnen der Ausstellung und die Passanten, die am Fenster der Galerie vorbeigehen ein wenig beobachtet, sieht man rasch: sie zeigen ein anderes Benehmen als «normale» Ausstellungsbesucher.
Es ist ein Staunen, ein Wundern, ein Bezaubert-Sein in und um sie. Ein Ausdruck von Zuständen und Gefühlen, die wir heute in der Kunst nicht mehr so oft haben. Zustände und Gefühle, die in früheren Jahrhunderten durchaus häufiger in der Kunst anzutreffen waren.
Ich erinnere mich an eine kleine ländliche Kapelle im hochsommerlich trockenen Süden Frankreichs. Die Tür stand offen und ein Leuchten kam vom Altar her. Ein intensiver Sonnenstrahl brachte ein Kruzifix und eine Monstranz zum Funkeln. Draussen trockene, karge Landschaft, drinnen Glanz und Herrlichkeit: Wie muss das auf Menschen gewirkt haben, die noch ein Fernsehen kannten? Keine Leuchtreklamen? Keine Lichtshows? Es war keine berühmte Kapelle, kein bedeutendes Kunstwerk und doch ist mir damals stark bewusst geworden, welche Verführungs-Kraft von der Kunst ausgeht.
Was eine ländliche Kapelle mit einem Garten zu tun hat? Ein Garten hat immer eine metaphysische Komponente. Einen Garten anzulegen heisst, eine Welt zu schaffen. Eine Welt, die auf unser aller Welt Bezug nimmt, und die darüber hinaus geht. Jeder Garten ist ein Paradies, also ein Ausblick auf eine bessere Welt, ein Gegenentwurf zur bestehenden Welt.
In dem Moment, in dem Sie ein Stück Erde einzäunen, beginnen Sie einen Garten zu schaffen. Dieser Zaun ist wichtig. Er muss nicht hoch sein, er muss nicht massiv sein. Aber er muss, zumindest in Ihrer Vorstellung, da sein. Denn ein Garten ist per Definition immer ein umfriedetes Gelände. Das germanische Ursprungswort gerd oder gard bedeutet soviel wie Gerte oder von Gerten, Zweigen umstecktes Gelände. Und wer ein Gelände einzäunt, der tut damit zweierlei kund.
1. Ich beanspruche dieses Gelände für mich.
2. Ich gestalte auf diesem Gelände eine eigene Welt.
Die Wirklichkeit zeigt, dass der zweite Punkt nicht immer eingehalten wird: es gibt umzäunte Grundstücke auf denen nichts gestaltet wird. Es gibt auch verwilderte Gärten und umzäuntes Brachland?
Eigentlich aber ist ein Garten ein gestaltetes Gelände, eine eigene Welt. Und damit nahe am Kunstwerk. Denn auch das Kunstwerk ist eine eigene Welt. Traditionell mit einem Rahmen drumherum – also einer Art Zaun. Was sich innerhalb dieses Zaunes befindet – da ist der Spielraum gross. Der französische Surrealist Louis Aragon hat in «Le Paysan de Paris» notiert, was alles Gärten sein können: Gärten erinnern ihn an Spitzen-verzierte Taschentücher, an Likör-gefüllte Schokolade. Er vergleicht sie mit geistreichen Frauen, die manchmal ein bisschen bösartig sein können oder sogar blöde aber immer voller Rausch und Illusionen.
Wir haben in dieser Ausstellung zwei Gärten, deren Umfriedung ebenso unzweifelhaft ist wie ihr Bezug zur Kunst. Zwei Gärten in einer Galerie. Jeder in einem Raum. Wer von einem Raum in den anderen geht, spaziert wie durch eine Gartenlandschaft.
Es sind Gärten, die wir sofort als Gärten erkennen – auch wenn sie nicht viel mit Erde, Petersilie und Hecken zu tun haben. Aber es gibt zentrale Elemente, die wir sofort dem Garten zusprechen: Das Florale, das organisch wirkende. Und ein wenig Ungeordnetes. Die meisten von uns empfinden Natur als besonders natürlich, wenn sie ein bisschen wild erscheint. Ein bisschen. Totale Wildnis wird eher als beunruhigend empfunden. Wir wollen das Gefühl haben, dass wir die Natur kontrollieren können. Wir wollen – zumindest als Gärtner oder Gartenliebhaberinnen – nicht unbedingt die totale Kontrolle. Die Natur soll als eigene Kraft erkennbar bleiben, mit der wir in Dialog treten können. Die Natur-Kraft steht für die Lebens-Kraft selbst. Einen Garten zu gestalten heisst, das Leben gestalten.
Etwas von dem Wechselspiel zwischen Kontrolle und Freiheit, Garten und Freiraum steckt in den Arbeiten von Estelle Gassmann, die Sie nebenan sehen. Die Künstlerin arbeitet mit Porzellanschalen, die sie auf Flohmärkten erwirbt. Vor allem mit Porzellanschalen, die filigrane Durchbruchmuster zeigen. Diese Durchbruchmuster erinnern an Flechtstrukturen und damit in gewisser Weise an Gartenzäune. Einige der Schalen sind mit Blumendekors bemalt. Sie sind also Gärten en miniature: mit Blumen und Zaun. Die Künstlerin Künstlerin erweitert diese Gärten, indem sie Porzellanmasse zugibt und diese gewissermassen an den gefundenen Schälchen entlang wachsen lässt. Die Porzellanmasse wächst gleichsam durch die Gitterstrukturen, geht über sie hinaus, schlängelt sich himmelwärts wie Ranken, bildet Dächer wie Bäume. Es formt sich eine eigene kleine Landschaft.
Estelle Gassmanns Arbeiten erinnert an Arrangements oder Miniaturgärten, die man manchmal in Pflanzschalen angeboten bekommt. Da gibts dann ein kleines Primelchen und einen Zwergbuchs und noch ein Pflänzchen – und wenn die alle kräftig wachsen, dann ist das bald kein niedliches Arrangement mehr, sondern etwas Neues, Wildes, Eigenwilliges.
Die Objekte sind mit Bildern bedruckt: Aufnahmen aus der Natur, aber auch von Plastikgefässen, die ebenfalls durchbrochene Strukturen aufweisen. In einer früheren Werkserie hat sie sie die Porzellangefässe mit Durchbruchsmuster und die Plastikgefässe mit Durchbruchmuster kombiniert: das Wertige und das Billige, das Natürliche und das Künstliche. Wobei man sich natürlich fragen kann, was ist hier natürlich, was künstlich: Beides ist von Menschen gemacht.
Gärten sind immer von Menschen gemacht. Sie behaupten, Natur zu sein, sind aber vom Menschen gemacht. Im «Lustgarten» von Doris Staub Muster besteht daran kein Zweifel. Die Künstlerin hat einen Garten angelegt, der durchaus natürliche Komponenten enthält, der aber dennoch gar nicht erst so tut, als sei er Natur. Dieser Garten ist ein künstliches Paradies. Ein kunstvolles Paradies. Und ein lustvolles.
Er jst, um noch einmal auf Louis Aragaon zurückzukommen, ein Likör-gefülltes Praliné, das auf einem Spitzentaschentuch serviert wird. Ein Spitzentaschentuch, an dem alles dran ist, was Handarbeitskunst nur so kann: aufwendigste Stiche, vertrackteste Muster, raffinierteste Effektgarne. Und – wenn ich mir dieses Spitzentaschentuch vorstelle, dann sehe ich da auch ein grosses, deutliches Monogramm. Denn: es ist ein sehr persönlicher Garten.
Es ist ein Garten, in dem sich Privates und Allgemeines, Gesehenes und Gelesenes, Essentielles und Spielerisches, Natürliches und industriell Gefertigtes, Heimisches und Exotisches, Kitsch und Kunst, Freude und Schönheit, Werden und Vergehen, Denken und Schauen aufs engste miteinander verbinden.
Ich kann unmöglich und will auch gar nicht über alle einzelnen Bestandteile dieses Gartens, über all die Pflanzen, die echten und die künstlichen, die Videos, die Vögelchen und Insekten sprechen. Es sind Reiseandenken – Doris ist eine interessierte Reisende – es sind Grüsse aus ihrem eigenen Garten. Es sind Objekte, die sie in aller Welt und die sie bei sich daheim aufgesammelt hat. Es sind zum Teil Objekte, wie die Pusteblumen in den Plexischalen, die eine grosse persönliche Bedeutung für die Künstlerin haben – ein Symbol der Vergänglichkeit. Das alles zu erklären, das würde nicht nur ewig dauern. Es würde uns nicht gut tun. Es würde den Zauber ankratzen. Es gibt Dinge, über die man nicht sprechen kann. Über die man vielleicht auch gar nicht sprechen sollte.
Es gibt Momente der Schönheit und des tiefsten Glücks, die in einer Harmonie des Innen mit dem Aussen entstehen können. Und die unter der Last allzu vieler, allzu schwerer Worte zerbrechen können. Gärten, und das gilt auch und gerade für künstlerische Gärten, sind Sinnbilder des Lebens selbst, seiner Schönheit, seiner Fülle und seiner Fragilität.